10 September 2012 09:30 | Islamic Faculty Hall (Fakultet islamskih nauka)
Das Gebet um Frieden als geschichtliche Kraft
Christian Schmidt
Regionalbischof des Kirchenkreises Ansbach-Würzburg der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayernbiografie
Sehr verehrte Mitbrüder hier auf dem Podium, liebe Schwestern und Brüder in Christus,
herzlichen Dank, dass ich hier auf dem Podium zu unserem Thema die Stimme des Protestantismus einbringen darf. Ich stelle kurz einige Beispiele vor, an denen die geschichtliche Kraft des Gebets um den Frieden deutlich wird.
Wenn wir in den evangelischen Bereich schauen, steht sicher Martin Luther als großer Beter an erster Stelle
Der Beter Martin Luther
20 Jahre lebte er als Augustiner-Eremiten-Mönch in der Tradition des monastischen Stundengebetes, und auch nach dem Auseinanderbrechen der abendländischen Kirche blieb er ein großer Beter und Meditierer. „Heute habe ich viel zu tun, darum muss ich heute viel beten“, so hat er einmal gesagt, und er betete drei bis vier Stunden am Tag. Beten ist für ihn das Handwerk des Christen: „Wie ein Schuster einen Schuh macht und ein Schneider einen Rock, also soll ein Christ beten. Eines Christen Handwerk ist Beten.“ Aus jedem Bibelwort, so sagt er, kann man einen vierfach gedrehten Kranz winden: Lehre, Dank, Beichte, Bitte.
Was die Verbreitung der Reformation betraf, so setzte Luther auf die Kraft des Wortes und auf die Kraft des Gebetes; Gewalt in Sachen des Glaubens, wie sie zum Teil vom linken Flügel der Reformation gepredigt und praktiziert wurde, lehnte er ab.
Er traute dem Gebet alles Gute zu, und das Gebet um den Frieden war ihm besonders wichtig. So übersetzte er die alte lateinische Friedensbitte „Da pacem, Domine, in diebus nostris“ ins Deutsche, als 1529 die Türken vor Wien lagen. Dieses gesungene Gebet
„Verleih' uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unser'n Zeiten.
Es ist doch ja kein Ander' nicht, der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott alleine“
ist im evangelischen Bereich bis heute eines der am meisten gesungenen Friedensgebete. Schon lange ist es kein Gebet mehr, das um Hilfe gegen die Türken betet. In den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es zu einem der wichtigsten Gebete der Friedensbewegung.
Mittagsgebet um Frieden
Auch jetzt noch wird von vielen evangelischen Christen jeden Mittag um 12.00 Uhr das Gebet um Frieden gebetet, wenn die Glocke zum Gebet ruft. Wenn unsere Kirchenleitung, der Landeskirchenrat, in München zusammenkommt, unterbrechen wir mittags die Sitzung zum Friedensgebet. Es erinnert uns immer wieder daran, dass wir Menschen es nicht selbst in der Hand haben, Frieden auf Erden zu stiften. Dass unsere menschlichen Möglichkeiten des Friedenstiftens immer des Beistandes Gottes bedürfen. „Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du unser Gott alleine.“
Das Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry
Eine große versöhnende Kraft ging und geht von der Nagelkreuzgemeinschaft und dem Versöhnungsgebet der Kathedrale von Coventry aus. Am 14. November 1940 wurde von deutscher Seite die englische Stadt Coventry bombardiert; 550 Menschen starben, zahlreiche Gebäude wurden zerstört, darunter auch die St.-Michael-Kathedrale.
Bei den Aufräumarbeiten der Kirchentrümmer ließ der damalige Dompropst Richard Howard drei große mittelalterliche Zimmermannsnägel aus dem Dachstuhl, die aus den Trümmern geborgen wurden, zu einem Kreuz zusammensetzen. Ferner ließ er die Worte „FATHER FORGIVE“ (Vater vergib) an die Chorwand schreiben und ein großes Kreuz aus zwei verkohlten Holzbalken zusammensetzen. Heute steht das originale Nagelkreuz auf dem Altar der neu erbauten Kathedrale und gilt als Zeichen der Versöhnung und des Friedens.
Bill Williams, der von 1958 bis 1981 Dompropst war, entwickelte den Gedanken einer Gemeinschaft von Nagelkreuzzentren, und es haben sich weltweit Nagelkreuzgemeinschaften als ökumenische Glaubensgemeinschaften gebildet. Ihr gehören in Deutschland derzeit 53 Gemeinden aus 37 Städten an; weltweit sind es derzeit über 160. Im Jahre 1959 wurde das Versöhnungsgebet von Coventry formuliert und wird seitdem an jedem Freitagmittag um 12.00 Uhr im Chorraum der Ruine der alten Kathedrale in Coventry und in allen Kirchen gebetet, die im 2. Weltkrieg zerstört waren, wieder aufgebaut wurden und der Nagelkreuzgemeinschaft angehören. Dieses Gebet hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ehemalige Feinde sich versöhnten und nun gemeinsam für den Frieden eintreten.
Das Gebet in Taizé
Ebenfalls auf die Zeit des 2. Weltkriegs geht die Communauté de Taizé zurück. Ihr Gründer und Prior, Roger Schutz, half zunächst an diesem kleinen Ort in Burgund verfolgten Juden zum Überleben. Dann scharten sich Brüder verschiedener Konfessionen um ihn, die begannen, in der alten Tradition der Orden ein monastisches Leben zu führen. An verschiedenen sozialen und politischen Brennpunkten der Welt leben Brüder mit den Menschen dort zusammen und setzen sich für sie ein. Vieles hat sich zum Guten verändert. Quelle dieser verändernden Kraft ist das treue Gebet. Von Taizé strahlt ein Licht hinein in die Kirche, aber auch in die Dunkelheiten der Welt. Ähnliches kann man vom Wirken der traditionellen Orden, aber auch von neueren evangelischen Gemeinschaften wie von den Christusträgern in Triefenstein sagen, die z.B. im Kongo und in Kabul/Afghanistan beten und als Ärzte und Ausbilder für die Menschen da sind.
Friedensgebete in der DDR
Seine geschichtliche Kraft hat das Gebet um Frieden in geradezu wunderbarer Weise in der friedlichen Revolution im Jahr 1989 in der DDR erwiesen. Die Entwicklung verlief folgendermaßen:
Seit 1981 werden in der Messestadt Leipzig Friedensgebete organisiert, die seit 1982 immer montags stattfinden. Hinzu kommen andere Veranstaltungen der Friedensbewegung in und an verschiedenen Kirchen. Diese Friedensgebete sind stark politisch und auch systemkritisch ausgerichtet; immer mehr Menschen nehmen daran teil, die es in der DDR nicht mehr aushalten und ausreisen wollen. Die Öffentlichkeit wird aufmerksam, der Druck des Staates auf die Kirchenleitung, etwas gegen diese Art der Friedensgebete zu unternehmen, wächst. Doch die Pfarrer und Gruppen, die die Friedensgebete tragen, können sich gegen die Kirchenleitung durchsetzen. Nach der Fälschung der Ergebnisse der Kommunalwahlen im Juli 1989 werden die Leipziger Friedensgebete immer populärer und finden großen Zulauf. Die Montagsgebete und
-demonstrationen tragen den Protest gut sichtbar auf die Straße und in die Gesellschaft hinein. Der Staat greift ein, verhaftet viele Teilnehmer, die nach dem Friedensgebet auf der Straße demonstrieren. Doch der Widerstand wächst, wobei das Gebet den Menschen die innere Kraft schenkt, gewaltlos zu bleiben. Die nach dem Gebet Demonstrierenden rufen nun nicht mehr „Wir wollen raus!“, sie rufen: „Wir bleiben hier!“. Gestärkt durch das Gebet, stellen sich die Menschen ihrer christlichen Verantwortung für ihr Land.
Ein Jahr nach dem Fall der Berliner Mauer bekannte das ehemalige Mitglied des SED-Parteibüros, Horst Sindermann: „Wir hatten alles geplant, wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Kerzen und Gebete. Das war es. Das brachte zu Fall, was mit Sperrzaun, Stacheldraht und Selbstschussanlage gesichert war. Den Betern war bewusst, dass es eines Eingreifens von Außen bedurfte und sie den Weg in die Freiheit nicht selbst bahnen konnten. Sie waren der Stoßtrupp der friedlichen Revolution.
Natürlich hat zu diesen Veränderungen die Perestroika unter Gorbatschow, hat das mutige Reden und Handeln von Papst Johannes Paul II. entscheidend beigetragen. Doch dass es in der DDR zu einer friedlichen Revolution und zu einem Ende der Diktatur ohne Blutvergießen kam, ist wesentlich den Montagsgebeten zu verdanken.
Friedensgebet der Weltreligionen
Welche Kraft zu Versöhnung und Verständigung von dem Friedensgebet der Weltreligionen ausgegangen ist, das Papst Johannes Paul II 1986 initiierte, wird (wurde) auf diesem Podium von berufener Seite dargestellt.
Internationaler Gebetstag für den Frieden
Nicht nur im Raum der Kirche sind die Friedensgebete gewachsen, Anregungen dafür gab es auch im Bereich der Politik. So wurde während einer Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1981 die Einführung eines „Internationalen Tag des Friedens“ beschlossen. 2001 wurde dieser Tag auf den 21. September festgelegt. Der damalige Generalsekretär Kofi Annan bat darum, das Angebot rund um diesen Tag des Friedens zu steigern. So entstand 2001 der Internationale Gebetstag für den Frieden, bei der sich zunächst die großen Kirchen im Rahmen der Ökumene beteiligten. Eigens dafür wurde die Dekade zur Überwindung von Gewalt gegründet.
Ich darf meinen Beitrag mit dem Versöhnungsgebet von Coventry schließen:
„Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten."
Darum beten wir:
Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse:
VATER, VERGIB!
Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr eigen ist:
VATER, VERGIB!
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet.
VATER, VERGIB!
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen:
VATER, VERGIB!
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge:
VATER, VERGIB!
Die Sucht nach dem Rausch, der Leib und Leben zugrunde richtet:
VATER, VERGIB!
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott:
VATER, VERGIB!
Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem anderen, gleichwie Gott Euch vergeben hat in Christus." Amen.