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Heinrich Walter

Vorsitzender des Generalpräsidiums der internationalen Schönstatt-Bewegung, Deutschland
 biografie
Familie und Religionen sind provozierende Themen in unserer Zeit. Die Selbstverständlichkeit dieser beiden Institutionen ist geschwunden. Weder Familie noch Religion liegen im Trend er Zeit, auch wenn 76% der Deutschen sagen, daß die Familie der wichtigste Lebensbereich ist. Diese Zahl ist in den letzten fünf Jahren sogar gewachsen. Der Familie wie auch den Religionen bläst der Wind kalt ins Gesicht. Für 25% der Deutschen ist die Religion ein wichtiger Bestandteil des Lebens. In Italien sind es 48%. Eine verbindliche Ehe schließen nur noch wenige, aber 85 % sagen, daß ihnen Treue sehr wichtig ist. 96% verstehen unter einer Familie ein verheiratetes Ehepaar mit Kindern. In der neuen Shellstudie sagen 90 % der Jugendlichen, daß sie eine gute Beziehung zu den Eltern haben. Fast zwei Drittel der Jugendlichen wohnen noch zuhause. Die Jugendlichen sind dankbar für das „Wir-gefühl“ und die Sicherheit, die ihnen die Familie gibt. 
Die Zahlen zeigen eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Haltungen. Der öffentliche Trend zur Auflösung der traditionellen Familie bleibt bestehen. In der öffentlichen Mentalität der Beliebigkeit ist es für junge Paare besonders schwer, eine Familie zu begründen. In der Herausforderung dieser Veränderungen wollen wir die Familie stark machen. Das ist zum einen eine pädagogische Aufgabe der Bewußtmachung in der Öffentlichkeit und der Befähigung der Paare, ihre Ehe und das Familienleben kompetenter und mit innerer Sicherheit zu gestalten. Zum anderen ist es auch die Aufgabe, Einfluß zu nehmen in die gesellschaftlichen Strukturen, damit sie der Familie Raum und Schutz verschaffen. 
 
Mein Statement kommt aus der Erfahrung der Schoenstatt Bewegung innerhalb der kath. Kirche. Ich nehme nur den pädagogischen Teil des Themas in den Blick. Im Miteinander zwischen christlichen Bewegungen und geistlichen Gemeinschaften ist in den letzten 10 Jahren eine Mitverantwortung für die Zukunft Europas entstanden. Auf diesem Weg ist uns ein großer Reichtum geschenkt worden, den wir in die Gesellschaft einbringen dürfen.  Ich danke der Gemeinschaft St. Egidio und Andrea Riccardi für die Freundschaft in diesen Jahren und für die Einladung, bei diesem Internationalen Treffen für den Frieden dabei zu sein.
 
Familie und Religion geben Antwort auf die Frage nach dem Menschsein
 
Was ist der Mensch? Ab wann ist der Embryo ein Mensch? Darf man sein Leiden abkürzen und das Leben selbständig beenden? Woher kommt die Sicherheit, das Wesen des Menschen zu benennen? Was ist der Sinn eines Menschenlebens?
Wir glauben an die Grundaussage im ersten Buch Mose: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild… als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27). Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Das ist das Fundament der Würde des Menschen. Wir Christen erkennen in Jesus Christus den Sohn Gottes, der Mensch wurde. Sein Leben in der Familie von Nazareth stellt das Menschsein und die Familie in ein neues Licht. In der christlichen Taufe wird die Zusage des liebenden Gottes zum Leben  gefeiert. Das Menschsein ist hineingenommen in eine verlässliche innere Beziehung zum Sohn Gottes. Diese Würde ist unantastbar. Jeder Mensch ist unverwechselbar einmalig. Der Mensch ist der Willkür des Menschen entzogen.
Die Katholiken erkennen in der ehelichen Liebe von Mann und Frau ein Zeichen, ein Sakrament der Liebe und Treue Gottes zu den Menschen. Die Familie ist ein Ort für die erfahrbare Gegenwart Gottes zuerst für die Eltern selbst, dann für das Kind von Anfang an. Religion und Familie gehen eine innere Verknüpfung ein.
 
Durch die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern geschieht die Vermittlung der Grundwerte des Lebens. Diese Prägung geht bis in das Unterbewußte. Wir wissen, daß der der Mensch eigentlich viel zu früh geboren wird und die jahrelange sichere Sorge der Eltern braucht, um überleben zu können. Die erfahrene Zuneigung, Geborgenheit und Sicherheit in der Familie geben dem Kind einen festen Stand in der Welt. In der verlässlichen Bindung in der Familie können alle Prozesse der Reifung zur Selbständigkeit wachsen. Wer diesen verlässlichen  Grund der Familie in Frage stellt, stellt den Menschen in Frage. Die Religion begründet und stärkt diese Einstellung. Ohne die Verknüpfung mit der Religion verkümmert das Humane, schwinden Achtung und Ehrfurcht. Vieles wird der Rationalität und Wirtschaftlichkeit geopfert. Religiöse Menschen haben die größere Achtung vor dem Leben, der Natur und der Menschwürde.
 
Wo werden diese Einsichten vermittelt und in die Diskussion eingebracht? Wir machen in unserer Bewegung im Blick auf die Familie eine gute Erfahrung mit Seminaren für befreundete Paare zur Gestaltung ihrer Freundschaft und mit einem langen Prozess der Vorbereitung für Brautpaare. So entsteht eine bewusstere Verantwortung und Kompetenz für die Gründung einer Familie im Kontext der Zeitentwicklung.
 
Familie und Religion geben Antwort auf die Frage nach Gott
 
Existiert Gott? Ist er erfahrbar? Wo ist Gott heute bei allen offenen Fragen und Krisen. Die Kinder stellen diese Fragen an ihre Eltern. Es ist eine existentielle Frage. Im Psalm 63 heißt es: „Gott du mein Gott dich suche ich, meine Seele dürstet nach Dir“. Diese Sehnsucht des Menschen ist der Ursprung der Religion. Darauf gibt jede Religion eine Antwort. Vor Jahrtausenden schon bauten die Menschen Tempel, damit die Götter unter den Menschen Wohnung nehmen. Gott ist anwesend in den Heiligen Schriften. In den Religionen wird Gott auch im eigenen Haus gegenwärtig gesetzt. Gott wird in Riten und Liturgien verehrt, sowohl in Tempeln wie in der Familie. Das Heilige ist unberührbar fern und doch auch ganz nah. Beziehung und Verehrung werden ausgedrückt in Zeichen und Symbolen, Opfern und Dankesgaben, in Wallfahrten und stillem Gebet.
Die Familie ist der erste Ort, an dem der Mensch in die Wirklichkeit Gottes eingeführt wird. Die Eltern schenken nicht nur das Leben, sie gestalten die Atmosphäre der Familie, in der lebensmäßig die Antworten auf das Suchen und Fragen entstehen. Die Eltern sind die ersten Boten des Glaubens für ein Kind. Ein Kind, das den Vater beten sieht, wird es leichter haben, einen Zugang zur Religion zu finden. Es kann hinter Vater und Mutter die Wirklichkeit Gottes ahnen. In der Familie entsteht das Wurzelgeflecht, aus dem der der persönliche Glaube zu einem starken Baum wachsen kann. Der Umgang mit Religion und Gottesglaube hängt unmittelbar mit der Erfahrung in der eigenen Familie zusammen. Wir wissen, daß dieser Prozess beim Erwachsenwerden nicht immer gelingt, sondern auch Abwehr bewirken kann.
 
Ein Beispiel:
Die Familien unserer Bewegung gestalten mit den Kindern den „heiligen Ort“ im Haus, das sogenannte Hausheiligtum. Symbole, Bilder, Kerzen und wichtige Gegenstände der Einzelnen drücken die Verbindung aus zwischen der Wirklichkeit des Alltags und der Gegenwart Gottes. Der unbegreifliche Gott ist nicht nur der Herr des Alls, er ist uns nahe, wir können sein Wirken erkennen. Hier werden allein und gemeinsam Gebete gesprochen, Lieder gesungen, Fragen und Probleme ausgesprochen und einfach Stille erfahren. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom Gott des Lebens.
 
Familie und Religion geben Antwort auf die Sehnsucht nach Gemeinschaft
 
In den Ausgrabungen von Kapharnaum erkennen wir, wie die ersten Christen über dem Haus der Familie des Petrus ein Gotteshaus gebaut haben. Das Haus seiner Familie wurde zum Grundstein einer Gemeinde des Glaubens. Über Jahrhunderte waren die Christen in Hauskirchen versammelt. Die Familie und ihr Haus waren der Ort für das Leben der Religionsgemeinschaft.
Die Zeichen der Zeit im 21. Jahrhundert deuten darauf hin, daß ein solcher Prozeß wieder im Gang ist. Mitten in der Schwächung der christlichen Volkskirchen in Europa entsteht ein neuer Frühling der Hauskirchen. Mitten im Rückgang der zölibatär lebenden Priester und Schwestern entstehen christliche Gemeinschaften unter Familien. Die Familie ist nicht nur der Ort der Einführung in den Glauben, sie wird auch der Ort der Glaubensvermittlung in die Gesellschaft hinein. Es mag einer Vision gleichen, wenn ich überzeugt bin, daß die Rolle, die die Klöster über Jahrhunderte in Europa hatten, in Zukunft immer mehr die Häuser christlicher Familien übernehmen werden.
Die Glaubensgemeinschaften werden nur Zukunft haben, wenn sie gebildet sind aus kleinsten lebendigen Zellen, in denen der Einzelne beheimatet ist und eine verlässliche Erfahrung der Gemeinschaft und des Glaubens machen kann.  Die Familie wird dafür ein bevorzugter Ort sein. Es werden wenige sein, aber sie werden eine Ausstrahlung haben.
 
Ein Beispiel:
In Österreich begann vor 15 Jahren das Modell der Hausgespräche. Man lädt Bekannte und Arbeitskollegen in die eigene Familie ein und bittet ein ausgebildetes Ehepaar, ein aktuelles Thema des Familienlebens oder des Glaubens zu bearbeiten. Manches Haus wurde so zum Ort einer lebendiger Pastoral für den ganzen Stadtteil. Jedes Haus profiliert sein Angebot und Zeugnis entsprechend der eigenen erworbenen Kompetenz. Sie sprechen jetzt von der Vernetzung ihrer christlichen Häuser, um die Atmosphäre der Gesellschaft besser mitgestalten zu können. Es entsteht eine Gemeinschaft, die menschlich stärkt und trägt. Es entsteht eine Synergie derer, die die gleichen Werte vertreten und ähnliche Glaubensüberzeugungen haben.
 
Eine Beobachung möchte ich noch anfügen:
Unter den Familien unserer Bewegung lebt die Erfahrung, daß die Eltern ihre Ehe und Familie als eine Berufung von Gott erkennen und leben. Sie nennen es: „Familie als Berufung“. Sie machen die Erfahrung, daß diese Erkenntnis die Kraft gibt, ihre Werte und ihren Glauben in einer offenen Gesellschaft selbstbewusst zu leben. Sie verstehen ihre Familie im Geist der Nachfolge Jesu. Was die Ordensleute durch ihr Zeugnis des zölibatären Lebens ganz für Gott und die Kirche einsetzen, das wollen die Ehepaare auf ihre Weise nicht weniger ernst tun. Sie wollen die Fülle der Berufung als Ehepaar und Familie leben. Ehepaare investieren in Ausbildungen als Familientrainer, um in ihrer Freizeit andere Familien in Werteerziehung, Konfliktfähigkeit, Glaubensweitergabe etc. einzuführen. Das alles geschieht von Familien für Familien. Viele Familien gehen in den Ferienzeiten für eine Woche in Dörfer und Stadtteile, um als ganze Familie nach südamerikanischem Vorbild „Misiones“ zur Glaubensvertiefung und Lebenshilfe zu gestalten. Die Familie selbst wird somit zum Träger der Wertevermittlung und Glaubensweitergabe in der Öffentlichkeit.