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Andrea Riccardi

Historiker, Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio
 biografie

Sehr geehrte Religionoberhäupter,
Nach diesen gemeinsamen Tagen sind wir gestärkt und hoffnungsvoller, und dies nicht, weil wir die Probleme unserer Länder und unserer Welt vernachlässigt hätten. Wir haben über sie gesprochen wie eine Familie, und wir haben dabei gespürt, dass kein Volk sich selbst überlas-sen ist. Das war ein großes Geschenk, das wir dem Geist von Assisi verdanken, denn dieser hilft, den Geist des Friedens in allen religiösen Traditionen zum Ausdruck zu bringen. Er be-seitigt die Unterschiede nicht, sondern lehrt uns das Bewusstsein unserer gemeinsamen Ver-antwortung. Wir sind zwar verschieden, doch sind wir keine Fremden oder Feinde. Wir sind alle verwandt und alle verschieden!
In den vergangenen zehn Jahren haben wir den Weg von Assisi nicht vergessen, auch als er naiv oder nutzlos, gefährlich und unzeitgemäß erschien, als ihn viele für eine gefährliche Utopie hielten. Unser einziger Ruhm bestand darin, dass wir verstanden hatten, welch großes Geschenk diese Vision ist, die aus der prophetischen Intuition von Assisi hervorgegangen ist, und dass wir ihr Jahr für Jahr treu geblieben sind.
Nachdem wir diese Tage in München verbracht haben, sind wir gestärkt und hoffnungsvoller, denn wir haben das Gebet ins Zentrum unserer Tage gestellt. Wir haben nebeneinander gebetet. Nie wieder gegeneinander, wie es uns der große Johannes Paul II. gelehrt hat. Gerade eben haben wir solche Momente des intensiven Gebets erlebt.
Wir haben unsere Religionen in der Tiefe erforscht und dies lehrt uns, Menschen des Friedens zu sein, wie unser geliebter Papst Benedikt XVI. in seiner Botschaft für dieses Treffen schreibt, die einen großen spirituellen Wert hat. Der Papst sagt weiter: Unsere Begegnung ist eine Gelegenheit "für die Religionen, sich selbst zu erforschen und zu fragen, wie sie Kräfte des Miteinanders werden können". Ja, die Religionen fördern das Zusammenleben, sie sind Grundlagen für eine Kultur des Zusammenlebens. Die Religionen leben in gegenseitiger Ach-tung, in Freiheit und Freundschaft. Dadurch bauen sie den Frieden auf.
Wir sind gestärkt und hoffnungsvoller als vorher, denn wir haben uns nicht von Resignation und Pessimismus beherrschen lassen. Das Münchner Abkommen von 1938 besiegelte das Nachgeben der europäischen Regierungen gegenüber der arroganten Macht des Nationalsozialismus. In Dachau, wohin wir uns als Pilger begeben haben, haben wir die Folgen dieser arroganten Macht betrachtet. Diese arrogante Macht wollte ganz Europa zu einem Konzentrationslager machen. Doch sogar dort, in der Schule des Leidens, entstand unter den Gläubigen ein Geist der Ökumene. Im Gegensatz zu 1938 war dieses Internationale Friedenstreffen in München 2011 ein großes Ereignis der Hoffnung und der Kraft des Geistes.
München ist zur Hauptstadt des Geistes geworden. Auf den Straßen war nicht das laute Marschieren von Soldaten zu hören, sondern die sanften Schritte der Gottessucher und Friedenspilger. München war eine glückliche Hauptstadt des Geistes, auch weil seine Bewohner offen und gastfreundlich sind. Daher danke ich allen, offiziellen Vertretern wie Bürgern, für ihre Teilnahme und Sympathie. Insbesondere danke ich Herrn Kardinal Marx, der ein intelligenter Gastgeber und ein Mann des Geistes und des Friedens ist. Eminenz, in diesen Tagen in München haben wir nicht nur eine ausgezeichnete Tagung organisiert, sondern ein Geschehen des Geistes möglich gemacht, das uns alle prägt und sich als Kraft der Hoffnung und Traum vom Frieden weiter ausbreiten wird. Gestärkt in der Hoffnung für das kommende Jahrzehnt brechen wir von München auf. Von München erhebt sich eine Bitte um Frieden in der Überzeugung, dass Gott uns erhört. In München erklingt ein Hymnus auf das Leben, der die Freude über den Frieden und das Zusammensein besingt.
Es waren gesegnete Tage, die uns stärken. Diese Kraft wird das Feuer des Krieges auslöschen. Diese Kraft wird uns stützen, wenn wir vor der Aufgabe stehen, Frieden an die Orte zu brin-gen, an denen Hass, Unverständnis und Gleichgültigkeit herrschen. Geben wir uns nicht damit zufrieden, in einem ruhigen und geschützten Winkel zu bleiben und dort ohne Hoffnung für die große Welt zu leben. Gönnen wir uns keine Ruhe, bis Frieden in unserer Nähe und auf der ganzen Welt geschaffen ist. In der globalen Welt dürfen wir uns nicht mit einer wirtschaftlichen Globalisierung begnügen. Vielmehr brauchen wir ein weites Herz mit einem universalen Blick. Männer und Frauen des Friedens sind universale Brüder und Schwestern.
Von Hoffnung erfüllt sagen wir mit lauter Stimme: Möge das kommende Jahrzehnt wirklich neu sein! Die Neuheit ist der Friede, der Friede in einer Welt, die die Armen gerechter behan-delt, in der die Reichen lernen, genügsam zu sein und echten Einsatz im Kampf gegen die Armut zu zeigen. Der Friede ist ein Traum und eine Hoffnung, keine Utopie. Dieser Traum reift in den Herzen spiritueller Frauen und Männer, die nicht vor dem Bösen und vor dem Mangel an Freiheit, an Religionsfreiheit und an Freiheit vom Elend resignieren. Der Friede ist unsere konkrete Vision für die Zukunft. Denn der Friede ist eine göttliche Vision. Der Friede ist der Name Gottes.