9 September 2012 17:00 | Skenderjia, Main Hall
Gruß von Patriarch Irinej in der Eröffnungsveranstaltung
Geschätzte Minister, Geschätzter Vorsitzender des Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegovina, Präsident von Serbien und Präsident der Republika Srpska und weitere geschätzte Vertreter von Ländern dieses Teils Europas,
Eminenzen, Hochwürdige Vertreter, Exzellenzen,
hochverehrte Vertreter des Islam und des Judentums, hochgeschätzte Vertreter der anderen großen Weltreligionen, meine Damen und Herren.
Liebe Freunde, liebe Teilnehmer an diesem Friedenstreffen, liebe Schwestern und Brüder.
Zu Beginn dieses kurzen Grußes zur Eröffnungsfeier des Friedenstreffens erlaube ich mir, euch alle mit aufrichtigem Respekt und ehrlicher Zuneigung im Namen Gottes zu grüßen, und zwar mit dem traditionellen biblischen Gruß, der - nachdem er auch in den Koran Eingang gefunden hat - zum traditionellen Gruß aller drei monotheistischen Religionen geworden ist: Friede sei mit euch! Shalom aleikhem! Salam aleikum! ?????? ????!
Hier muss betont werden, dass dieser Friede nicht einfach gleichbedeutend ist mit einem Zustand der Abwesenheit von Krieg, sondern die Fülle des Lebens unter dem Segen Gottes bedeutet, die Gesamtheit der göttlichen Gaben und Güter, Heil und Segen. Ich danke Gott für den Frieden und die Liebe, und ich freue mich, mit euch allen, mit Männern und Frauen des Glaubens, Vertretern des Staates, Vertretern der Kultur, geschätzten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Freunden und Menschen guten Willens, dass ich mit euch den Gruß und den Gedanken des Friedens in dessen tiefstem Sinn teilen kann.
Die Menschen des Landes, in dem wir uns befinden, sowie die Menschen der benachbarten Länder haben im Laufe ihrer vergangenen und jüngeren Geschichte viel Leid erlebt und viele Tote beklagen müssen. All das ist im geschichtlichen Gedächtnis der Menschen dieser Region eingeprägt, aber nicht als ein Aufruf zur Vergeltung, sondern als Erinnerung und Geleit auf die Zukunft hin. Eine Zukunft, die von uns allen einen Willen zu Frieden, Gastfreundschaft, gegenseitigen Respekt und Vergebung erfordert sowie das Bewusstsein der Notwendigkeit, in einer großen Gemeinschaft von Menschen zu leben. Mein Vorgänger auf dem Stuhl des Heiligen Sava sagte mit Weisheit: "Die Erde bietet ausreichend Raum für Milliarden von Menschen, wenn diese wirklich gläubig sind und Gott gegenüber gehorsam. Aber sie ist zu eng und reicht nicht einmal für zwei Menschen, wenn einer von beiden wie Kain in der Bibel ist."
Unsere Wurzeln hier auf dem Balkan - sowie auch in Europa, wozu wir von einem geographischen, historischen und zivilisatorischen Gesichtspunkt her gehören - sind spirituelle Wurzeln. Die Wurzeln Europas sind vorwiegend christlich mit einem wichtigen Beitrag des Judentums und des Islam. Das kulturelle und spirituelle Erbe Europas stützt sich auf die Erfahrung des Glaubens an einen einzigen Gott und auf die Einladung, im Namen des Glaubens den anderen als Nächsten anzunehmen und so mit ihm umzugehen, wie es der barmherzige Gott tut. Er "er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt 5,45). "Denn Gott ist Liebe" (1, Joh 4,8). "Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen" (1 Tim 2,4). Die Schlussfolgerung des Heiligen Johannes des Theologen, der zurecht Apostel der Liebe genannt wird, ist bestimmt logisch und vielleicht die einzig mögliche: "Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht" (1 Joh 4,20). Denn er fügt hinzu: Denn "Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben" (1 Joh 4,21).
Heute befindet sich die Welt vor einer tiefen Krise. Es ist eine Krise in verschiedener Hinsicht - ökonomisch-finanziell, politisch, ökologisch, moralisch... Aber meiner Meinung nach ist es vor allem eine spirituelle Krise. Das betonen auch die grössten Denker. So schreibt zum Beispiel der berühmte russische Religionsphilosoph Nikolai Berdyaev, dass die Krise unserer Zeit in erster Linie eine Krise des Geistes ist und darin wurzelt, dass der moderne Mensch an die Allmacht der Wissenschaft und der Technologie glaubt und die Beziehung zu Gott, das heißt die Wirklichkeit des Geistes, weitgehend vergessen oder vernachlässigt worden ist.
Für uns Männer und Frauen des Glaubens stellt die Krise eine positive Herausforderung dar: Wir müssen versuchen unseren Zeitgenossen zu helfen, die Welt des Glaubens zu entdecken, in der sie Antworten auf ihre Fragen und Wege der Hoffnung finden könnten anstatt blindem Utilitarismus und einer Mentalität des Konsums zu folgen.
Meine Anwesenheit heute hier, gerade am Sitz eines der ältesten und am meisten respektierten Bischofssitze der serbisch-orthodoxen Kirche zusammen mit der Anwesenheit meiner Bischofsbrüder, Priester, Mönche und Nonnen repräsentiert den Einsatz des serbischen Volkes für das edle Anliegen des Friedens, der immer von unserer orthodoxen Kirche gelehrt wurde. Ich bin fest davon überzeugt, dass die geistlichen Anführer und die Gläubigen der anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften in dieser Stadt und diesem Land - Muslime, Katholiken, Juden und all die anderen - dieselben Gefühle und Gedanken teilen; sie werden auch geteilt von den Völkern, mit denen zusammenzuleben wir berufen sind. Und die Zukunft heißt Zusammenleben, wie der Titel unseres Treffens lautet. Es ist mein tiefer Wunsch, dass die gemeinsame Zukunft befreit sein möge von den so schmerzhaften und tragischen Erfahrungen der Vergangenheit, die wir alle erlebt haben. Möge Gott den neuen Generationen gewähren, dass sie ohne Hass und ohne die angsterfüllte Erfahrung des Krieges aufwachsen und leben können. Die Voraussetzung und die Vorbereitung einer solchen Zukunft sind unter anderem die Begegnungen im Zeichen des guten Willens, des Friedens, der Öffnung, des Dialogs und der Gegenseitigkeit im Namen Gottes, des Barmherzigen, im Namen Gottes, der Liebe und Ursprung der Liebe ist. In diesem Zusammenhang findet unser Treffen seine wahre und volle Bedeutung.
Erlauben Sie mir, mit Worten herzlichen Dankes an die Gemeinschaft Sant'Egidio, ihren Gründer Professor Andrea Riccardi und ihren spirituellen Vater Erzbischof Mons. Vincenzo Paglia zu schließen für ihre visionären und mutigen Initiativen, besonders bei der Organisation dieses Treffens, bei dem jeder frei ist, seinen eigenen Glauben zu bezeugen, und wir alle gemeinsam hoffen, dass uns eine Zukunft in Frieden gewährt werde.
Der Segen Gottes sei mit Euch allen!