Matteo Zuppi
Kardinal, Erzbischof von Bologna und Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenzbiografie
Es ist eine große Freude für die ganze Kirche und die Stadt von Bologna, Gastgeber dieses wirklich weltweiten Treffens zu sein. Es reiht sich ein in die Tradition von Frieden und Solidarität, die für unsere Stadt ein wichtige Teile ihrer Identität sind. Wie Kardinal Lercaro, einer ihrer Bischöfe, sagte, will sie nicht neutral sein angesichts des Krieges. Von Herzen danke ich der Gemeinschaft Sant’Egidio, diesem Volk ohne Grenzen, das vielen ermöglicht, sich als Teil einer Menschheitsfamilie zu fühlen. Ich danke ihrem Gründer, Andrea Riccardi, und auch dem Präsidenten, Marco Impagliazzo, weil er in diesen Jahren eine Karawane von Männern und Frauen unterschiedlichen Glaubens, Personen guten Willens angeführt hat, die ein Netzwerk der Freundschaft und der wahren Kommunikation geworden sind, eine Ressource an guter Luft und Beziehungen in einer Welt, die durch viel Intoleranz verschmutzt ist und die große Mühe hat, einander zu verstehen.
Hier erscheint es einfach, miteinander zu sprechen und sich zu verstehen. Aber diese Zusammenkunft ist nicht selbstverständlich, dieses Zusammenkommen mit wachsender Treue seit vielen Jahren, denn die Logik der Gegensätze und das Handeln danach sind verbreitet als Weg, um zu verstehen, wer man ist, und um zu existieren. Diese Versammlung ist das Gegenteil eines verwirrten und oberflächlichen Fotoshop-Bildes, wo man einfach Protagonisten einfügen oder ersetzen kann. „Nicht mehr die einen gegen die anderen oder ohne die anderen“, denn „die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg wird der Menschheit ein Ende setzen“. Das rief wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Heilige Paul VI., der am heutigen Tag von Papst Franziskus heiliggesprochen wurde, mit einer im Leid gereiften Weisheit aus. Wir sind hier „mit“ den anderen. Die Gefahr liegt nicht darin, „mit“ dem anderen zusammen zu sein, sondern „ohne“ ihn, so wie er ist. Das ist eine Herausforderung, wie beim Bau von Brücken: Anfangs erscheint es unmöglich, aber dann gehen wir darüber und wollen nicht darauf verzichten! Gemeinsam erkunden wir die Gegenwart und die Zukunft, aber wir erinnern uns immer an „das Blut von Millionen Menschen und unerhörtes Leid, nutzloses Blutvergießen und außergewöhnliches Verderben“, das sich damals und heute vor unseren Augen zeigt. Wir können uns niemals daran gewöhnen. Europa entstand auf dem Hintergrund dieses bitteren Bewusstseins. Wir haben die Verantwortung, alles zu tun, um es sowohl gegen jeglichen Spaltungsimpuls als auch gegen die Umwandlung in eine bloße Bürokratie zu verteidigen – die in Wirklichkeit wichtig ist – aber nicht funktionieren kann, wenn sie keine Seele und keine Politik besitzt, die die Verfassungsideale in mutige Entscheidungen umsetzt.
Bologna ist ein Kreuzungspunkt, an dem viele Straßen aus und in alle Richtungen aufeinandertreffen. Das erfordert Gastfreundschaft und Intelligenz, denn es kann dazu führen, dass wir uns verwundbar fühlen oder nur als Raststation für den Handel. Bologna war die erste Universitas Europas. Das Wort Universitas enthält die Idee des Ganzen und die einer Gemeinschaft, wie Papst Franziskus zu uns sagte, und vereinigt zwei Dimensionen, die „vertikale“, die den Wunsch ausdrückt, in die Höhe zu zielen, und die „horizontale“ von einer gemeinsamen Suche, bei der wir „gemeinsame gute Interessen anregen und teilen“.
Heute denken wir hier über diese Universitas der Menschheit, der Religionen, der Geschichte und Kultur nach. In Bologna betonen wir das Recht auf Frieden, worum uns Papst Franziskus vor einem Jahr eben hier in Bologna gebeten hat. Wir wollen alles dafür tun, dass es wirklich ein Recht wird. Es ist das Recht, Konflikte ohne Gewalt beizulegen, indem man das sucht, was die Menschen verteidigt und das gemeinsame Leben regelt, was „die Rechte der Individuen und der Völker stärkt, der Schwächsten, der Verworfenen und der Schöpfung, unseres gemeinsamen Hauses“. Wir glauben denen nicht, die uns sagen, dass es nutzlos sei, dafür zu kämpfen, und dass sich nichts ändern werde! Wir geben uns nicht mit kleinen Träumen zufrieden, wir wollen in großem Stil träumen!
Bologna besitzt noch einige der vielen und wunderbaren, eleganten und mutigen Türme, die ein sichtbares Symbol für die Intelligenz des Menschen und in Wirklichkeit für ihre Sehnsucht nach dem Himmel sind. Aber man kann nicht in Türmen eingeschlossen leben, und die Städte können nicht ein Miteinander isolierter Individuen sein. Deshalb hat Bologna seine Lebensadern in den Arkaden, die alle beschützen und jeden sich heimisch fühlen lassen, wer er auch immer sei. Das ist unsere tiefste Identität. Wir könnten sagen, dass die Arkaden schon immer unsere Brücken sind, die vereinen und Begegnung und Dialog erlauben. In den Arkaden verbinden sich das Private und das Öffentliche: Sie führen in die Häuser und auch ihr Erhalt ist der Verantwortung der Bewohner anvertraut! Es ist wirklich wahr: Man ist nicht Zuschauer des Lebens, und der Friede erfordert wie die Stadt der Menschen persönlichen Einsatz! Bologna ist eine Stadt mit antiken christlichen Wurzeln und nimmt gerade deshalb alle auf. Wenn man den Frieden nicht sucht, ist er bedroht. Das Böse will den Religionen die Worte rauben durch die Gotteslästerung von Terrorismus und Fundamentalismus. Feindschaft ist immer teuflisch, und der Same der Trennung ist auch schon im Gebrauch der Worte in beunruhigender Weise fruchtbar und bringt Früchte des Leids für andere hervor. Wir wollen weiterhin die Saat von Begegnung, Kennenlernen, Freundschaft und Dialog verbreiten. Dialog ist kein gefährliches oder naives Wort! Vielmehr ist es gefährlich, wenn man nicht spricht! Wir wissen, dass es nicht einfach ist, aber wir wissen, dass es der einzige Weg ist.
Abschließend ist Bologna eine Stadt und eine Kirche voller Wunden, wie alle Städte. Sie will sie nicht vergessen, weil das Leid nicht spalten oder Rache und Hass nähren darf, sondern weil es uns menschlicher machen und den leidenden Menschen näher bringen muss. Dabei erinnere ich an Marzabotto, hier in der Nähe, wo im letzten Weltkrieg 770 Personen getötet wurden, darunter 217 Kinder. Wir denken daran als Symbol für alle Opfer und Massaker, von denen viele in der Stille ohne Bilder stattfinden. Erst gestern wurden drei Leichen aus dem Mittelmeer gefischt, und 13 Personen werden noch vermisst. Allein gestern. In diesem Jahr, in dem wir an das Ende des Ersten Weltkriegs erinnern, dürfen wir niemals den Krieg akzeptieren, während wir mit Bruchstücken eines Weltkriegs zusammenleben, der in verschiedenen Ländern ausgefochten wird. In einem Wald bei Marzabotto wurde ein kleiner Wallfahrtsort errichtet, der Maria geweiht ist, eine Erinnerung auch an alle Mütter, die um ihre Söhne weinen, die durch die Gewalt der Menschen getötet wurden. Es ist der einzige, den ich kenne, wo die Symbole der verschiedenen Kämpfer, die damals Feinde waren, gemeinsam aufbewahrt werden: die der amerikanischen und brasilianischen Divisionen, die immer noch beunruhigenden der deutschen SS und der faschistischen Milizen. Eine Gedenktafel erklärt diese mutige Entscheidung: „Versöhnt im Tod“. Ja, denn in Wirklichkeit tötet der Mensch zwar, aber er möchte leben.
Um zu leben, um Arkaden des Friedens zu errichten, die schützen, um uns im Leben zu versöhnen, damit kein Abel durch die Hand seines Bruders stirbt, für unsere Enkel, weil wir glauben, dass es möglich ist, den Krieg abzuschaffen, nehmen wir Sie heute auf und bitten Gott, dessen Name der Friede ist, die Entscheidungen, Überzeugungen, Intelligenz und Lösungen zu inspirieren, damit sich in unserem gemeinsamen Haus die Menschen in der ganz und gar menschlichen Kunst des Zusammenlebens üben, der Kunst des Lebens, der Kunst, die jeden Menschen zu dem macht, was er ist: Kind Gottes.