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Naftali Haleve

Mitglied des Rabbinical Council of America und der Europäischen Rabbinerkonferenz, Türkei
 biografie
Liebe Freunde,
Im Namen der tuerkischen juedischen Gemeinde ueberbringe ich euch die besten Gruesse und Wuensche. 
Heute haben wir uns versammelt, um darueber zu sprechen, wie man sich den Frieden im mediterranen Becken vorstellen kann. Das Mittelmeer war immer schon mehr als nur ein Meer. Es widerspiegelt unsere Menschheit, indem es sowohl unsere Triumphe aufzeigt als auch unsere Pruefungen.
Von den Kuesten Aegyptens bis zu den griechischen Inseln wurde diese Region Zeuge vom Aufstieg und Fall vieler Zivilisationen und hat uns gelehrt, wie der Friede – auch wenn er zerbrechlich ist – erreichbar bleibt. 
Im Laufe der Geschichte war der Friede in dieser Region nicht nur fuer die Laender des Mittelmeerraumes ein ersehntes Ziel, sondern fuer die Voelker in der ganzen Welt. Auch wenn er auf unserer Wunschliste den prioritaeren Platz einnimmt, gestaltet sich dessen Realisierung als problematisch.
Ich gehe dieses Thema mit vorsichtigem Optimismus an.
Nun muss unser Optimismus auf die Realitaet gegruendet sein. Werfen wir einen Blick auf die Mittelmeerregion.
Was sehen wir?
Im Osten Asien: die Region des Nahen Ostens in seiner Gaenze - Syrien, Libanon, Israel, den Gaza-Streifen. 
Im Norden Kleinasien”, mein Herkunftsgebiet, auch Anatolische Halbinsel genannt, 
im Sueden Afrika: Aegypten, Libyen, Tunesien, Algerien, Marocco; 
und schliesslich Zypern zwischen diesen beiden Kontinenten.
Setzen wir fort in Richtung Westen:
Eine der groessten Ausdehnungen des Mittelmeers in Richtung Norden ist das Aegaeische Meer” und dann “Europa”: die Inselgruppe “Dodekanes”, der “Peloponnes”, Griechenland. 
Eine weitere Ausdehnung ist das adriatische Meer: Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegovina, Montenegro, Albanien im Osten. Italien, Sizilien, Malta im Westen. Und schliesslich Frankreich und die iberische Halbinsel, Spanien.k
Auch wenn wir fuer einen Augenblick jene Laender und Nationen, die sich in der Umgebung befinden, nicht in Erwaegung ziehen – wie jene an der Schwarzmeerkueste und jene die das “warme Meer” des Mittelmeers erreichen wollen -, koennen wir sehen, dass fast alle der erwaehnten Nationen und Staaten, inklusive jene, in denen antike Zivilisationen beheimatet waren, sich ununterbrochen in Konflikt befinden, sich feindlich gesinnt sind und sich oft in bewaffneten Kriegen bekaempften, insbesondere aufgrund von geographischen, wirtschaftlichen, politischen, religioesen Interessen und teils nationalen und sozialen Prioritaeten. 
Ich denke, dass viele Experten fuer Internationale Beziehungen sowie Wissenschaftler fuer Politik und Gesellschaft, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Interpretationen zu diesem Thema zum Ausdruck zu bringen, Bereiche extrahieren\ausschneiden, indem sie diese Situation mittels selbstformulierter Titel klassifizieren und definieren: Sie sagen “Realpolitik”, “Geopolitik oder Geostrategie” und in einzelnen Faellen sprechen sie auch von “Petropolitik oder Petrostrategie” und so weiter. Sie bringen neue Initiativen indem sie Definitionen erstellen und diese erheblich erweitern. Aber was mich als Geistlichen mit einem Masten in Soziologie am meisten traurig macht und direkt am meisten verletzt, ist der Begriff „Theopolitik/Theostrategik“, den sie benutzen.
 
Ich verstehen, dass diese Experten mit derartigen Bezeichnungen von einer politischen Strategie sprechen wollen, die den religioesen Beziehungen Prioritaet verleiht, den Beziehungen von Glauben, Einheit und Opposition und sozusagen eine “Religiopolitik” macht, was jedoch nicht weniger irritierend ist.
Neben der Beziehung und der Kommunikation des Einzelnen mit seinen Mitmenschen versucht die Religion, seinem Leben einen Sinn zu geben, indem sie seine Mitmenschen, seine Umgebung und sein privates Universum ordnet, und sie ist vielleicht einer der wichtigsten Wege, um den Menschen von einem „menschlichen Wesen“ zu einem „humanen Wesen“ zu machen. Deshalb scheint es mir eine große Ungerechtigkeit zu sein, Glauben und Religion allein zu den Gründen für die andauernden Kriege zu zählen.
Religion soll vielmehr eine Quelle fuer Friede und Einheit sein.
SChliessen wir diese Klammer und kehren wir zu uns unserem Hauptthema zurueck>
 
 
Wie ich vor kurzem auf verschiedenen Plattformen zum Ausdruck gebracht habe, ist die wesentliche Grundlage für den Frieden und das Wohlergehen zwischen Völkern und Ländern oder zumindest für den Zustand des Nicht-Krieges und der Nicht-Feindschaft die korrekte Festlegung sowie die korrekte Handhabung des Verständnisses von „gemeinsamen Anliegen“ und „gemeinsamen Vorteilen“ zwischen Völkern und Ländern. 
 
Es sollte nicht vergessen werden, dass die Suche nach individuellen Lösungen für Probleme, die die gesamte Menschheit betreffen, letztlich zu ganz neuen sozialen Sackgassen führt. Ich denke, das ist es, was heute im „Mittelmeerraum“ wie auch in anderen Teilen der Welt geschieht. Offen gesagt, macht es uns gerade dies so schwer,  uns den Frieden in dieser Region vorzustellen.
Als Geistlicher möchte ich nicht hoffnungslos sein oder Verzweiflung verbreiten, aber ich weiß nur eines: Wer sich nicht anstrengt und sein Äußerstes für seine Sehnsüchte tut, hat kein Recht auf Hoffnung. Zweifelsohne müssen alle Beteiligten in dieser Hinsicht eine Rolle spielen. Ich denke, dass ein Bildungssystem, das den Menschen, die Natur und das Leben in den Mittelpunkt stellt und sich auf universelle Werte stützt, die aus dem Leben selbst und den Lehren unseres Glaubens stammen, eine dominierende Rolle in diesem Bereich spielen wird.
So ist beispielsweise der Umweltschutz ein universelles Anliegen. Das Mittelmeer, in dem Millionen Menschen leben, ist durch Umweltverschmutzung und Klimawandel bedroht. Wenn wir zusammenarbeiten, um unsere gemeinsamen Ressourcen zu schützen, können wir einen kollektiven Nutzen erzielen. Auch wirtschaftliche Ungleichheit, Migrationskrisen und religiöse Spannungen erfordern gemeinsame Anstrengungen.
Fuehrende Religionsvertreter können Gräben überbrücken, indem sie sich auf gemeinsame Werte und nicht auf Unterschiede konzentrieren. Unsere Traditionen lehren Mitgefühl und Gemeinschaft, und indem wir diese betonen, können wir zur Versöhnung anregen.
Die Bildung spielt eine entscheidende Rolle. Ein System, das auf universellen Werten aus Lebenserfahrungen und Glaubenslehren beruht, kann Verständnis und Empathie fördern. Indem wir künftige Generationen dazu erziehen, einander als Gleichberechtigte zu sehen, schaffen wir die Grundlage für dauerhaften Frieden.
Wie die Tora uns lehrt: „Suche Frieden und jage ihm nach“ (Psalm 34:14). Frieden erfordert von uns allen Handeln und Engagement. Ohne ernsthafte Bemühungen bleibt er unerreichbar.
Abschließend möchte ich sagen, dass sich der Mittelmeerraum von einer Wiege der Zivilisationen zu einer Wiege des Friedens entwickeln muss. Wenn wir heute von hier weggehen, sollten wir uns den Frieden nicht nur vorstellen, sondern aktiv darauf hinarbeiten, durch Dialog, Bildung und Taten des Mitgefühls. Jeder von uns hat die Aufgabe, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
Setzen wir uns für diese Sache ein, für die künftigen Generationen, die dieses Meer und sein Vermächtnis erben werden.
Ich glaube, dass auch Sie, liebe Freunde, zu diesen Themen viel zu sagen haben. Um die mir zur Verfügung stehende Zeit nicht zu überschreiten, möchte ich Ihnen allen zum Abschluss meiner Ausführungen noch einmal meine Hochachtung aussprechen.
Danke!