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Donatella Di Cesare

Universität "La Sapienza", Rom
 biografie
Es gibt viele Bewährungsproben, denen die Demokratie heute unterzogen wird – bis zu ihren Urspruengen. Ich habe mich entschieden, über einen zu sprechen, der mir sehr am Herzen liegt und auf den ich gerne eingehen möchte.
In den letzten Monaten habe ich versucht, mich auf das Folgende zu konzentrieren: Demos ist nicht Ethnos und Demokratie ist nicht Ethnokratie. Die Reduzierung der Menschen auf ihre vermeintlichen ethnischen Grenzen ist die Losung der Souveränisten – in Europa, in Amerika und fast überall in der Welt. Nur durch diese Reduktion kann der neue Nationalismus erklärt werden in seinen extremen Formen der Aggression: von den aktuellen Kriegskonflikten bis hin zu den Plänen für das sog. Demographic Engineering, vom Krieg der Nationalstaaten gegen Migranten bis hin zu der vermeintlichen Notwendigkeit, ethnische Säuberungen durchzuführen oder – sogar – ein Phantom – bis hin zu einem "ethnischer Austausch" der europäischen Völker.
Aber ist Ethnos wirklich ein Synonym für Demos? Und das Primat der ethnischen Zugehörigkeit ist angemessen um damit von Demokratie zu sprechen? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich den ersten Text aufgreifen, in dem das griechische Wort demokratia zum ersten Mal auftaucht. Es ist eine Tragödie von Aischylos: Die Bittsteller. Die Protagonisten darin sind Frauen, die vor familiärer Gewalt fliehen, Migrantinnen, die von den Küsten aus in See stechen ueber nordafrikanische Länder hinweg, die die Wellen des Mittelmeers überlebt haben. Sie gehen an Land in Argos. Am Strand halten sie inne, bevor sie um Asyl bitten. Sie meinen, sie müssten 
sich an einen König zu wenden. Aber nein! In Argos – das ist das Neue – regiert das Volk, also  
Demos. Und es wird das Volk sein, das entscheidet. In dem, was ich als die Mutterszene des
Demokratie bezeichne, reisst  Aischylos eine Bresche in die versammelte Versammlung. "Wie entscheidet die mächtige Hand des Volkes?" – Demou Kratousa Cheir? Die Hand wird erhoben, um abzustimmen – Zum ersten Mal manifestiert sich die Demokratie. Und diese Hände, die nach oben gehen, während sie die Demokratie umsetzen, stimmen für die Aufnahme von Migranten. Es handelt sich um eine Revolte der Frauen, der Asylbewerber, die die Demokratie hervorbringt. Und auf der anderen Seite, Demokratie wird durch Gastfreundschaft erreicht. Ohne Gastfreundschaft gibt es keine Demokratie – und es gibt keine Gastfreundschaft ohne Demokratie.
Gastfreundschaft ist gerade der Lackmustest, der Beweis für die innewohnende Offenheit im Demos, in den Menschen, die sich niemals verschließen  und ganz in sich selbst zurueckziehen können. Doch die Gefahr der Schließung tritt sehr früh zutage. Die fortschrittlichsten Gesetze im antiken Athen erkannten den ansässigen Ausländern die Staatsbürgerschaft zu, wobei demnach das Kriterium der Abstammung, das Gesetz von Geburt und Blut, das Prinzip des Bodens, der Mythos der Autochthonie an Gewicht zunahmen. Ein Vollbürger war nur derjenige, der eine gute Herkunft hat, der von Ansaessigen abstammt, der sich nie verunreinigt haben oder nur gezogen waere, daher würde das Land, in dem man geboren wurde, immer denselben weiter gehoeren.
Das Blut und der Boden, die den Ethnos nähren, tauchen unaufhörlich in der Welt auf. Im Laufe der Jahrhunderte haben sie die Demokratie auf die Probe gestellt. Im 20. Jahrhundert scheint es so, dass nicht einmal die Lehre der Tora und des Evangeliums diese Drift aufhalten halten koennen, wo – wie wir wissen – die außergewöhnliche Zahl der ansässigen Ausländer sogar die der autochtonen Bürgerinnen und Bürger uebertrifft. Ich brauche Sie sicherlich nicht an die Ergebnisse 
der Reduktion des Demos auf das Ethnos während des Nationalsozialismus zu erinnern, der in seinem Unternehmen des Umbaus bis hin zur systematischen Vernichtung derjenigen gegangen ist, die die ethnische Gruppe hätten beflecken können, die der Deutschen. Aber der italienische Faschismus war nicht anders.
Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Blut und Erde Geister der Vergangenheit sind. Heute
wüten sie dank neuer Tricks wieder. Ausländer und
Migranten, im Namen der vermeintlichen Homogenität der Einwohner, Kinder ihrer eigenen
Brüder, Brüder – ohne Schwestern – alle gehören zu den patrilinearen Nachkommen, zu den
Land und auf seinen Befehl. Aber die Demokratie führte zur Einbürgerung, zur Verwurzelung
In den zur Schau gestellten Ursprüngen der Ureinwohner ist es keine Demokratie mehr. Es ist Ethnokratie –
Das heißt, eine der totalitären Pathologien der Demokratie. Denn die Menschen sind ein
Eine dynamische politische Form, die sich ständig neu zusammensetzt. Es ist keine Gemeinschaft
Basierend auf natürlicher Autorität, Bluts- und Bodenbanden, ist die Linie der
Die Abstammung, der Kodex der Autochthonie.
Der Verlust der politischen Bindung führte zur Bekräftigung der ethnischen Bindung – der
was Mythos der Reinheit und des reinen Hasses bedeutet, d.h. Krieg in all seinen Formen. Es ist
so dass wir heute hier – in der Vorstellung von Frieden – an diese Seiten zurückdenken müssen
über die Aufnahme der Demokratie, über die demokratische Gastfreundschaft.