Liebe Schwestern und Brüder,
das Friedenstreffen der Religionsoberhäupter beginnt für uns Christen mit dem Gebet und dem Hören auf das Wort Gottes. Sowohl der Prophet Amos – in der ersten Lesung – als auch Jesus im Evangelium – mit dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus – laden uns ein, das Leben ernst zu nehmen, es nicht sorglos und genießerisch zu leben, verschlossen im Egoismus, und auf unsere Reichtümer zu vertrauen, sondern uns auch um die Brüder zu kümmern.
Im Grunde tat der Reiche nichts Böses: Er hielt Festmähler ab. Das genügt nicht. Man lebt nicht nur für sich selbst. Jesus gibt seinen Jüngern die Regel: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ Der Schwachpunkt des Reichen ist, dass er das Gute nicht tat, das er hätte tun können. Vergessen wir es nie: Wir sind füreinander verantwortlich.
Der Christ macht sich zum Weggefährten der Personen, die neben ihm leben, er hört ihre Fragen, versteht ihre Sorgen und ihr Leid, ist gemäß seinen Möglichkeiten solidarisch mit denen, die bedürftig und in Not sind. Wir dürfen nie vergessen, dass wir am Ende des Lebens nach der Liebe beurteilt werden, der Liebe zu Gott und zum Nächsten, ob wir uns der anderen, insbesondere der Armen, angenommen haben.
Der wahre Jünger Jesu bemüht sich, die Abstände zwischen den Menschen zu überbrücken, das Leid zu mildern, die Herzen einander näher zu bringen, er arbeitet, um die Ungerechtigkeit zu überwinden. Er stellt sich nicht selbst an die erste Stelle.
Diese Vision des Lebens kommt nicht aus einem Gefühl des Erbarmens, des Mitleids, gegenüber dem, der weniger Glück hatte. Sie hat ein klares Fundament: Paulus erinnert uns im Brief an die Philipper daran: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod […]. Darum hat ihn Gott über alle erhöht […] damit […] jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters.“
Der Vorschlag des Evangeliums ist klar: An Christus glauben, ihm folgen, ihn im Herzen aufnehmen, bedeutet nicht nur, ihn zu verehren, sondern jeden Tag die Werte und den Lebensstil Christi anzunehmen: den Bruder zu lieben, sich um ihn zu kümmern, das zu teilen, was man hat, das Leid zu lindern, für Gerechtigkeit zu kämpfen, mitzubauen an einer gerechteren Welt, Hoffnung einzuflößen. Ist das einfach? Nein, aber es ist möglich, wenn wir das Herz dem Wirken der Gnade öffnen.
Die christliche Neuigkeit liegt nicht nur in der Anerkennung Gottes als Vater und im Glauben an ihn, aber – in gleicher Weise – darin, die Welt in Gerechtigkeit und Liebe aufzubauen.
Paulus empfiehlt Timotheus in der zweiten Lesung: „Du aber, ein Mann Gottes, […] strebe unermüdlich nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut. Kämpfe den guten Kampf des Glaubens […]. Erfülle deinen Auftrag rein und ohne Tadel, bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn.“
Liebe Schwestern und Brüder, erleuchtet von diesem Wort, Christus in der Eucharistie, dem Sakrament der Liebe, ähnlich geworden, lasst uns mit Mut vorangehen. Bezeugen wir die Hoffnung auf eine bessere Welt, in der – wie wir im 85. Psalm lesen – Gerechtigkeit und Friede sich küssen, und Huld und Treue einander begegnen.
Kardinal Agostino Vallini