Ich danke der Gemeinschaft Sant’Egidio sehr für ihr konkretes Interesse an den religiösen und ethnischen MInderheiten im Nahen Osten. Danke für eure Solidarität mit den Christen in dieser erschütterten Heimat. Der von Gott geschaffene Mensch verdient ein Leben in Würde und Freude. Die Gewalt widerspricht dem Plan Gottes und der Natur des Menschen. Wir müssen alles tun, um diese Würde zu bewahren: die Demokratie, die Freiheit, die Menschenrechte dürfen nicht bloße Schlagworte bleiben, es sind Aufgaben, die umgesetzt werden müssen. Das ist unser aller Mission. Unglücklicherweise verursacht die Herstellung von Waffen Kriege und in der Folge Tod und Zerstörung.
Die GEwalt, die den Irak, Syrien und den ganzen Nahen Osten erschüttert, ist ein Schock. Ein Schock für unsere Länder, aber auch ein Trauma für die ganze Welt. Die Menschheit darf sich nicht damit zufrieden geben zuzuschauen.
Die Stammeskultur mit ihren Reflexen ist der Boden der dschihadistischen Ideologie. Ohne diese sichtbaren und unsichtbaren Mauern, die unsere Länder nach Religion, Sprache oder Ethnie trennen (ganz zu schweigen von Korruption, Ungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut, hätte die dschihadistische Ideologie nicht Fuß fassen können.
Deshalb wäre eine wahre Bürderschaft, die sich politisch manifestiert, eine ideale Lösung für den ganzen Nahen Osten, nach dem Modell Albaniens. Um dieses Ziel zu verwirklichen, musste Albanien einen langen Weg zurücklegen, aber heute ist es ein Land des friedlichen Zusammenlebens und der Freiheit für alle.
Im Irak zählen wir seit 2003 immer unsere Toten, außerdem gibt es 3 Millionen Flüchtlinge, und die Infrastruktur ist zerstört. Aber auch Syrien, Jemen und Libyen und der aktuelle Exodus der Auswanderung sind zu nennen. Ich frage mich: in wessen Namen und wofür geschieht all das?
Um eine dauerhafte und gerechte Lösung für alle zu erlangen, schlage ich folgendes vor:
1. Eine politische Staatsbürgerschaft
Um der dschihadistischen Ideologie mit ihrer Brutalität ein Ende zu setzen, müssen wir eine politische Versöhnung im Irak, Syrien und den Ländern des Nahen Ostens erzielen, die sich auf die Staatsbürgerschaft gründet. Der Friede erfordert eine Verfassungsreform, um alle Komponenten der Zivilgesellschaft einzubeziehen, ohne die Logik der Stämme oder Sekten zu berücksichtigen. Dafür müssen alle Bürger gleich sein und die gesellschaftliche Diskriminierung, vor allem in der Verwaltung, muss verboten werden. Nur die persönlichen Fähigkeiten eines jeden sollten Ausschlag gebend sein.
Nur unter dieser Bedingung können unsere Länder vereint bleiben. Die konkrete Staatsbürgerschaft erfordert die Trennung zwischen Religionen und Staat, wie hier in Albanien oder in Indonesien, wo es eine muslimische Mehrheit gibt. Um zusammenzuleben, ist auch Gerechtigkeit nötig. Die dschihadistische Ideologie wird von bewaffneten Männern vertreten, die die Region destabilisieren. Deshalb ist eine internationale Initiative für die Stabilisierung unserer Länder erforderlich.
2. Eine Charta von Handbüchern zur religiösen Erziehung
Die aktuelle Situation in unseren zerstörten Ländern, mit getöteten und verschwundenen Mitbürgern, muss einen Schock des Gewissens auslösen. Um den zukünftigen Frieden aufzubauen, ist eine Charta für Handbücher der religiösen Erziehung erforderlich. Diese Handbücher müssen die Öffnung fördern, von allen akzeptiert werden und für alle nutzbar sein. Die Handbücher der religiösen (muslimischen) Erziehung müssen in positiver und respektvoller Weise von anderen Religionen sprechen. Die aktuellen Lehrpläne enthalten leider extremistische Ideen, die andere Religionen ablehnen.
Die Religion muss eine Quelle der Hoffnung sein, die zur Entwicklung und Stabilität der Gesellschaft beiträgt. Sie darf nicht Hass und Trennung verbreiten, wie das leider geschieht, wenn sie für die Interessen bestimmter Gruppierungen und Sekten missbraucht wird.
3. Die Staatsbürgerschaft, so lange die humanitäre Krise anhält
Millionen Menschen leben in unwürdigen Bedingungen, sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft und die ihrer Kinder. Für die vertriebenen Familien, die nicht mehr in ihren Häusern, sondern in Zeltlagern leben, ist internationale Hilfe dringend nötig. Sie brauchen würdige Unterkünfte, Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung und Schulen. Diese Familien müssen arbeiten können, um weiterhin Selbstvertrauen zu haben. Das wird ihnen auch ermöglichen, nach Hause zurückzukehren, sobald ihre Heimatregionen befreit sind.
Die Bemühungen bedeuten Hoffnung. Glücklicherweise haben in dieser humanitären Krise einige gezeigt, dass ein Zusammenleben möglich ist. Ich denke an die Muslime, die den geflohenen Christen zur Hilfe gekommen sind, an die Sunniten, die Schiiten gerettet haben und umgekehrt, und ich denke besonders an die Kurden, die Millionen Flüchtlinge aller Religionen in Kurdistan aufgenommen haben. Ich denke an jenen alten Muslim, der zu mir gekommen ist und mir gesagt hat: Hier sind 5000 Dollar um den vertriebenen Christen zu helfen, als Dank für seine Erziehung in einer Schule von Nonnen. Diese Männer und Frauen sind die Zukunft und Hoffnung des Nahen Ostens.
Christen und Muslime müssen sich gemeinsam für eine bessere Zukunft für alle einsetzen. Wir dürfen uns nicht länger auf unsere ethnische oder religiöse Zugehörigkeit beschränken.