12 Septembre 2017 09:00 | Bischoefliches Priesterseminar Borromaeum - Aula
Rede von Jaron Engelmayer
Zur Prophetie würde ich gerne aus jüdischer Sicht drei Prämissen vorausschicken, um damit die Aussage im Titel jüdischerseits zu begründen und zu untermauern:
Erstens: Zwar kennen jüdische Mütter die Zukunft ihrer Kinder schon sehr früh, sodass wenn sie gefragt werden, wie alt ihre Kleinen seien, durchaus folgende Antwort kommen kann: "Der Professor ist drei Jahre alt und der Rechtsanwalt zweijährig!" Jedoch kennt das Judentum Prophetie seit fast 2500 Jahren nicht mehr. Mit den letzten Propheten Chagai, Secharja und Maleachi wurden damals die Heiligen Schriften der Prophetie, das Tanach, christlicherseits eher als sogenanntes "Altes Testament" bekannt, abgeschlossen. In der Folgezeit zählten vor allem die Weisheit, welche sich in der weiteren Entwicklung der mündlichen Lehre manifestierten, und mancherorts eine Heilige Inspiration, welche jedoch nicht mit der himmlischen Stufe der Prophetie vergleichbar ist.
Zweitens: Prophetie unterscheidet sich ganz grundlegend vom Orakel. Das Orakel, wie wir es beispielsweise aus den griechischen Mythologien, wie etwa in der Geschichte von Ödipus, antreffen, kündigt Ereignisse in der Zukunft an, welche unwiderruflich eintreten werden. Dem gegenüber geht es in der Prophetie zwar um die Ansage künftiger Ereignisse, jedoch müssen diese nicht zwingend zutreffen, sondern oft liegt es in der Hand der Menschen, ob sie überhaupt eintreten werden, oder auf welche Art und Weise! Dieser Unterschied ist grundlegend, denn das Orakel verwandelt den Menschen in eine passive Marionette, welche sich seinem Schicksal nolens volens ergeben kann oder muss. Dem hingegen regt die Prophetie den Menschen zum genauen Gegenteil an: Akteur und Gestalter des Schicksals und seiner Zukunft zu werden!
Hierfür einige Beispiele:
- Der Prophet Jonah wird von G"tt zur Stadt Ninive gesandt, um deren Untergang anzukündigen. Jonah weigert sich zunächst hartnäckig, diese Mission auszuführen, bis ihn schliesslich das Innere eines Wales eines anderen überzeugen konnte. Grund für den Widerstand: Am Ende tritt ein, was er "befürchtete", nämlich, dass die Stadt Ninive vom bösen Weg abkehrte und somit das schlimme himmlische Urteil aufgehoben wurde. Er sah in diesem Ausgang das Problem, dass die Leute ihn deswegen für einen falschen Propheten halten könnten und nicht wüssten, dass eine Prophetie nicht unbedingt eintreten muss.
- Vor der Zerstörung des ersten Tempels findet eine heftige Diskussion zwischen dem Propheten Jeremias und dem falschen Propheten Chananja statt. Jeremias sagte dem Volk die Zerstörung voraus, während Chananja diese abstritt und den weiteren Bestand des Tempels ankündigte. Maimonides erklärt den eigentlichen Sachverhalt der Diskussion so: Jeremias warnte Chananja vor der Überführung als falscher Prophet, denn sollte der Tempel zerstört werden, werden seine Aussagen als offene Lügen dastehen, da G"tt eine zum Guten angekündigte Prophetie nicht in eine schlechte verwandeln würde. Falls der Tempel aber nicht zerstört werden sollte, würden seine – Jeremias` - Vorhersage sich nicht als falsch erweisen, da das Volk durch Reue und Umkehr dies verhindert haben könnte.
- Über die messianische Zeit heißt es in den Propheten, dass G"tt sie "zu ihrer Zeit herbei beschleunigen" werde. Hierin sehen unsere Weisen einen offenen Widerspruch, denn entweder Messias kommt zur Zeit, oder beschleunigt, also vor der vorherbestimmten Zeit. Diesen Widerspruch lösen unsere Weisen wie folgt: Natürlichen Abläufen folgend gibt es eine bestimmte Zeit, zu welcher Messias aufgrund der natürlichen Entwicklung erscheinen wird. Wenn sich die Menschen aber besser verhalten, werden sie damit sein Kommen beschleunigen können.
Drittens: Viele der Prophetien der Heiligen Schriften haben sich bereits erfüllt, wie sieht es jedoch mit der Zukunft aus? Was haben wir etwa von den messianischen Zeiten zu erwarten?
Juden haben sich schon immer recht verschieden auf diese Frage bezogen. Während die einen befürchten, dass mit der Wiederauferstehung der Toten ihre ganze Mischpoche, also auch alle ihre Urahnen mit Onkel, Tanten und Haustieren, bei ihnen einziehen könnten, denken andere, ihre Welt werde sich auf den Kopf stellen, und beruhigen sich mit der Tatsache, dass wir Juden schon Pharao überlebt haben und wohl auch den Messias überleben werden.
Tatsächlich waren auch die Weisen des Talmuds in dieser Frage verschiedener Meinung. Rabbi Jochanan ist der Auffassung, dass sich die Naturgesetze zu Zeiten der Erlösung grundlegend verändern werden, wohingegen Schmuel die Gegenmeinung vertritt: אין בין העולם הזה לימות המשיח אלא שיעבוד מלכויות בלבד – Zwischen unserer Welt und den Tagen des Messias unterscheidet nichts außer die Unterdrückung der Völker – sprich: dass in Zukunft weltweiter Frieden herrschen wird! Maimonides entscheidet wie die Meinung Schmuels und schreibt:
"Es möge nicht in den Sinn kommen, dass in den Tagen des Messias irgendeine Sache der Weltordnung ungültig würde, oder dass sich irgendetwas an der Weltschöpfung erneuern würde. Nein, die Welt verläuft weiterhin nach derselben Weise... Unsere Weisen sagten, dass es zwischen dieser Welt und den Tagen des Messias keinen Unterschied gebe, außer die Unterdrückung durch die Völker."
Im selben Kapitel scheint sich Maimonides jedoch selbst zu widersprechen und weist auf die vielen Unterschiede hin, welche eintreten werden:
"Und in derselben Zeit wird es keinen Hunger und keinen Krieg, keine Eifersucht und keinen Wettkampf geben – die Güter werden reichlich vorhanden sein, und alle Feinschmecker-Esswaren wird es wie Staub geben..."
Wie lässt sich erklären, dass einerseits die Welt weiterhin unverändert demselben Lauf, denselben Gesetzen und Gesetzmässigkeiten wie bisher folgen wird, andererseits es keinen Hunger, stattdessen allgemeinen Wohlstand und Feinschmecker-Essen wie Staub geben wird?
Tatsächlich gibt es keinen Widerspruch. Die Gesetze der Natur müssen sich nicht verändern, um all das Beschirebene zu erreichen! Allein der Freiden zwischen den Völkern, Staaten, Religionen und Menschen reicht aus, mit Maimonides Worten: "ohne die Unterdrückung der Völker"!
Wie würde eine Welt in Frieden, mit gegenseitigem Respekt und Anerkennung aussehen? Milliardenschwere Staatbudgets für militärische Zwecke würden frei werden und könnten zum wirtschaftlichen Aufschwung und einer ausgeglichenen sozio-ökonomischen Gesellschaft Enormes beitragen. Es gäbe keine Kriegstoten, -verletzten, keine politischen Flüchtlinge, keine aus Kriegsgründen zerrissene Familien. Die Wirtschaft wäre stabil, frei von Konkurrenzverhalten, gemeinsam würde für eine gleichsame Verteilung der schon derzeit in Übermassen produzierten Gütern der Erde gesorgt werden – Hunger würde höchstens noch eine schlechte Erinnerung aus vergangenen Zeiten sein.
All diese Dinge können in unserer Welt, in der wir leben, eintreten! Das Paradies ist zum Greifen nahe, es ist allein von uns Menschen abhängig!
Nach all diesen Vorbemerkungen können wir nun zum Hauptthema übergehen, doch keine Sorge, dies wird nicht lange dauern. Eigentlich ist schon alles gesagt, inhaltlich gesehen, eigentlich muss diesem Prozess hin zum paradiesischen Zustand der Zeiten der Erlösung nur noch eine konkrete Form und ein Name gegeben werden, wie etwa: St. Egidio!
Je mehr Menschen sich dem Geist und Spirit anschliessen, welchen die St. Egidio Gemeinschaft seit Jahrzehnten unermüdlich voranbewegt, um unterschiedliche Menschen und Religionen zusammen zu bringen und über eine gemeinsame friedliche Zukunft nachzudenken, desto eher erfüllen sich die prophetischen Ankündigungen der messianischen Zeiten, ganz ohne Veränderung der Naturgesetze und der Weltordnung, allein Kraft des menschlichen Willens. Das Paradies kann zum Greifen nahe sein – mit Herzls Worten ausgedrückt: "Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen!"