11 Septembre 2012 09:30 | Mayor Seminar of Sarajevo (Hall Paul VI)
Sarajewo zwanzig Jahre danach - vom Konflikt zur Begegnung?
Anfang April 1992 war ich in Österreich. Während des Mittagessens erreichte mich die Nachricht, dass der Krieg ausgebrochen war. Ich bin sofort nach Sarajewo zurückgekehrt, bei allen Schwierigkeiten, denen ich auf der Reise begegnet bin. Mir war klar, dass ich als Hirte bei den Meinen sein musste in den Schwierigkeiten, die der Krieg mit sich brachte. Um ehrlich zu sein, war mir nicht klar, was der Krieg bedeutete; was ich über Krieg wusste, bezog sich auf die Erzählungen, die ich als Kind gehört hatte. Es ging um schreckliche Ereignisse, die sich während des Zweiten Weltkriegs ereignet hatten. Vor einem Jahr hatte mein Dienst als Erzbischof begonnen, und ich hatte Träume, die auch mit dem Beginn der Demokratie und der Möglichkeit, das Leben der Ortskirche in Freiheit zu organisieren, verbunden waren.
Die ersten Schwierigkeiten begannen, als die grundlegendsten Voraussetzungen für das Leben knapp wurden: Sicherheit, weil ständig Granaten fielen und die Stadt zur Zielscheibe verschiedenster Waffen geworden war. Die Telefonleitungen waren reduziert, während es immer seltener Elektrizität gab; auch das Wasser begann, knapper zu werden, bis es schließlich vollständig ausblieb. Die Nahrungsvorräte wurden allmählich weniger. Die häufigen Explosionen beeinflussten den psychologischen Zustand der Menschen stark; auch ich blieb nicht davor bewahrt und fiel eines Nachts in eine tiefe Krise. Dann haben wir uns im Keller versammelt, um gemeinsam zu beten, und haben so die psychische Anspannung und die Angst behandelt.
Zu dieser Zeit begann auch der Kampf um Wasser. Wir versuchten, einen Brunnen im Garten des Bischofssitzes zu graben, aber das Problem war, dass wir kein Benzin für den Bohrer hatten. Man muss bedenken, dass ein Liter Benzin 30 Mark kostete. Endlich haben wir in neun Meter Tiefe Wasser gefunden. Das war jedenfalls ein Erfolg, auch wenn es industrielles Abwasser war, das man nur zum Waschen verwenden konnte.
In dieser schwierigen Zeit hat die Caritas Nahrungslieferungen in die Stadt organsiert, und so konnten wir überleben, nicht nur ich und meine Mitarbeiter, sondern viele Bürger. Wenn jemand Hunger hat oder in Gefahr ist, steht nicht auf der Stirn geschrieben, welcher Nation oder Religion er angehört, sondern man muss einfach an die Rettung menschlichen Lebens denken. Ich bin allen dankbar, die in diesem Geist vielen Menschen das Leben gerettet haben.
Ich blieb drei Monate lang im Keller bis die Granaten das Dach zerstörten und wir uns nicht mehr vor den Unbilden der Witterung schützen konnten. Die Regenfälle im Juni 1992 werde ich nie vergessen. Also bin ich aus dem Keller herausgekommen und nicht mehr dorthin zurückgekehrt.
Dann erreichten mich die Nachrichten aus den Gemeinden. In jener Zeit fühlte ich mich wie Hiob, als er vom Leid seiner Angehörigen erfährt. Ich war machtlos. Trotzdem habe ich verstanden, dass man in dieser Dämmerung immer Zeugnis für die Hoffnung ablegen muss.
Deshalb habe ich trotz der großen Lebensgefahr versucht, die Gemeinden zu besuchen und die Priester und Gläubigen zu ermutigen, um wieder Hoffnung zu fassen und nicht den Mut zu verlieren. Mir war klar, wie wichtig es war, Brücken zu bauen, obwohl der Krieg natürlich Hass hervorruft, was in erster Linie von den Medien und dann auch von den Waffenhändlern ausgenutzt wurde. Deshalb bemühte ich mich um regelmäßige Treffen mit den Vertretern der anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Der Reis-ul-ulema für Ex-Jugoslawien, Effendi Seimovski, war nach Mazedonien zurückgekehrt, aber solange er in Sarajewo war, hatten wir regelmäßig Kontakt. Ich hatte auch Kontakt zum orthodoxen Bischof Vladimir, bis er aufgrund einer Erkrankung Sarajewo verlassen musste. Als Metropolit Nikolaj ernannt wurde, begannen wir, uns am Flughafen zu treffen. Auch mit dem Präsidenten der jüdischen Gemeinde hatte ich regelmäßige Treffen, solange er in Sarajewo war. Ab einem bestimmten Punkt blieb ich als einziger religiöser Repräsentant in Sarajewo zurück. In jener Zeit hielt ich Kontakte zu vielen Personen in der Stadt: Ich besuchte das Gebiet, auch wenn das eine große Gefahr bedeutete. Ich war Zeuge aller Schlachtfelder und Folgen des Krieges.
Nach dem Krieg war mir klar, dass es nötig war, den Prozess des Dialogs und der Versöhnung zu beginnen, den Frieden aufzubauen und zum Vertrauen zurückzukehren. So konnten wir 1997 eine Vereinbarung verabschieden und ein Memorandum über die moralischen Prinzipien unterzeichnen, auf denen wir gemeinsam als Repräsentanten der vier traditionellen Gemeinschaften des Landes arbeiten konnten.
Seither wechseln wir uns jährlich mit der Präsidentschaft des interreligiösen Rates (MRV) ab und versuchen, einige Dinge für das gemeinsame Wohl zu tun. Ich verschweige nicht, dass es die ersten Schritte auf der Suche nach dem Weg des Dialogs waren. Uns allen war bewusst, dass es keinen anderen Weg gab als den des Dialogs.
Wir sind einer Instrumentalisierung der den Krieg begründenden Motive begegnet, durch die die Verantwortung auf die Unterschiede zwischen den verschiedenen Religionen fiel. Mit dieser Interpretation wollte man die politische Verantwortung für den Krieg auf die Religionen abwälzen. Wir sind in die ganze Welt gegangen, um zu bezeugen, dass dies kein Religionskrieg war, sondern die religiösen Gefühle oft manipuliert wurden.
Die Politiker suchten die Hilfe der religiösen Oberhäupter, wenn ihnen unsere Unterstützung angenehm war, aber wenn sie sich ihrer Schritte sicher fühlten, warfen sie uns vor, dass wir uns in die Politik einmischten. Mir als Erzbischof war klar, dass ich die Frage des Wiederaufbaus der Gebäude angehen musste, aber mich noch mehr der menschlichen Herzen annehmen musste, durch den Prozess der Versöhnung…
An dieser Stelle möchte ich auf zwei wichtige Ereignisse näher eingehen: den Besuch des Kardinals Roger Etchegaray Mitte August 1992 als Abgesandter des Papstes. Für mich war das eine große Ermutigung. Dann der 8. September 1994, als Papst Johannes Paul II. uns über Radio Vatikan seine Nachricht gesandt hat, nachdem er nicht kommen und uns persönlich treffen konnte. Wir haben diese Nachricht alle sehr bewegt in der Kathedrale gehört. Und danach gelang es dem Papst, als die Telefone nicht funktionierten, diese Isolation zu durchbrechen und mich direkt anzurufen.
Es ist klar, dass der Besuch des Heiligen Vater in Sarajewo am 12. und 13. April 1997 ein unvergessliches Ereignis war. Das verpflichtet uns moralisch, möglichst bald ein Monument zu seiner Erinnerung vor der Kathedrale zu errichten.
Heute sehnt sich Sarajewo nach mehr Licht und Hoffnung für die Zukunft. Dieses Treffen sollte eine klare Botschaft aussenden: Sarajewo als Stadt des Friedens und des gleichberechtigten Zusammenlebens.
Warum ist es nicht so? Diese Frage müssten sich auch all die Verantwortlichen der lokalen und der internationalen Gemeinschaften stellen. Die Menschen wollen einfach zusammen leben und sehen, dass ihre Würde respektiert und ihre Rechte verteidigt werden.