Der FRIEDEN und das WORT – beide Ausdrücke sind nicht in eine religiöse oder theologische Sonderwelt geraten. Um Frieden zu schließen, braucht es das erlösende Wort, auf das so viele Menschen in der ganzen Welt zur Zeit warten: Der Krieg ist beendet. Du bist in Sicherheit. Fürchte Dich nicht!
1. Mittel ohne Zweck
Der Zusammenhang zwischen FRIEDEN und WORT ist noch tiefer: FRIEDEN im vollen Sinne die Ordnung, die das gute Leben in Fülle in sich trägt – für alle, für die ganze Schöpfung, für immer. Auch das WORT in seiner Fülle trägt alle Kraft und Wahrheit in sich. Man kann sprechen und hören, ohne Sorge, belogen, manipuliert, hintergangen, überredet, ausgenutzt zu werden, ohne Angst, lieber nicht zu viel von mir selbst preiszugeben, weil ich ja verraten und verletzt werden könnte.
Wahrer FRIEDE hat keinen Zweck außer sich selbst. Das wahre WORT hat keine versteckte Botschaft außer dem, was es besagt. Ja, der Friede ist ein Mittel zum guten Leben. Ja, das Wort ist ein Kommunikationsmittel. Aber beide sind „Mittel ohne Zweck“ (moyens sans fin / means without end / mezzi senza fine). Das ist eine ungewohnte Denkfigur. Mittel zum Zweck – das kennen wir. Das ist unser ständiger Lebensmodus. Ich tue das eine, um das andere zu erreichen. Ich verfolge Zwecke, und oft reichen die Mittel nicht. Ich scheitere und bin frustriert oder werde gar aggressiv. Das macht unsere Welt so hektisch und so unglücklich. „Mittel ohne Zweck“ – wäre das eine Lösung für Frieden im Vertrauen auf das Wort? Mittel ohne Zweck – das heißt: in der Mitte einer Bewegung, wo die Grenzen nicht trennen, sondern Orte der Begegnung sind.
Das war Schritt 1: Der Frieden und das Wort – Mittel ohne Zweck
Schritt 2. Gott ist unser Friede
Wir wissen: Die Welt ist nicht so. Das Wort dient nicht immer dem Frieden. Der Frieden hat selbst dort, wo er herrscht, ein Außerhalb, wo er nicht gilt. Frieden nach innen durch Krieg nach außen – das ist seit Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert das Motto des modernen Staates. Seit der Entstehung der souveränen Nationalstaaten ist das Außerhalb noch schroffer erfahrbar. Migranten und Migrantinnen sind Menschen, deren Frieden nicht mehr geschützt ist, deren Wort nicht mehr gilt. Sie sind nicht einmal „Mittel zum Zweck“. Sie stören die Zwecke der anderen.
Hier wird eine vielstimmige Botschaft hörbar, für die wir alle hier auf dem Podium in verschiedener Weise stehen: Nur Gott kann Frieden in Fülle schenken! Nur Gottes Wort verdient restloses Vertrauen und stiftet Vertrauen. Gott hat kein „außerhalb“. Gott schenkt nicht nur Frieden. Gott ist der Friede, der Ort, an dem Frieden möglich ist. Nur weil Gott Gott ist, gibt es Mittel ohne Zweck.
Auch wir, seine Geschöpfe, sind für Gott kein Außerhalb. Gottes Friede kann unser Friede werden. Er hat uns an seinem eigenen Wort Anteil gegeben. Gottes Wort hält die Fülle der Menschenworte in Frieden miteinander.
Deshalb trifft Gottes Friede uns nicht wie ein Ordnungssystem von außen, dem wir uns zähneknirschend unterwerfen. Auch Gottes Wort trifft uns nicht wie eine Anordnung von außen. Wir haben zutiefst ein Gespür für den Frieden Gottes und das Wort Gottes. Paulus greift im Römerbrief ein Wort auf, das er aus der Überlieferung Israels kennt: „Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten“ (Dt 30,14; Röm 10,6-9) – Du kannst dem Frieden dienen.
Wir alle hier auf dem Podium geben Zeugnis für diesen Frieden Gottes, für dieses Wort Gottes. Wir bewundern und ermutigen alle, die sich in begrenzten Räumen für den Frieden einsetzen, von der Familie bis zum Staat. Jeder Friede im Kleinen braucht die Offenheit für den Frieden für alle. Niemand darf prinzipiell in ein Außerhalb verbannt werden. Denn von dort wird neuer Krieg beginnen.
Dritter und letzter Schritt: Einladung an das Wort des Friedens
Warum sind der Friede und das Wort des Friedens uns oft so fern? Warum ist unser Herz oft so leer, oft voll Angst, oder gar voll Bosheit und Hass?
Ein Mönch des 12. Jahrhunderts, Bernhard von Clairvaux, berichtet in seinen Predigten: Das Wort hat mich „besucht“ (visitatio Verbi). Er berichtet auch, wie er manchmal schmerzlich warten muss, weil dieser Besuch ausbleibt. Das ist Mystik, aber auch eine einfache Erfahrung: Er weiß nicht, was er sagen soll, um seine Brüder von Herz zu Herz zu erreichen, um Frieden zu stiften in seiner Gemeinschaft.
Das Bild ist schön und einfach: Das Wort ist nicht einfach da wie in einem Werkzeugkasten. Gerade weil es uns in unserem Herzen so nahe ist, müssen wir eingestehen: Wir selbst sind manchmal nicht zu Hause, wir sind zu wenig vertraut mit unseren eigenen Tiefen. Es ist wie bei jedem Besuch: In der Regel stellt er sich ein, wenn wir ihn einladen. Und wenn wir jemanden einladen, bereiten wir uns und unsere Wohnung so gut wie möglich vor.
Gott ist zum Glück großzügig: Er sehnt sich nach unserer Einladung, aber er macht sich nicht davon abhängig. Als der Priester Zacharias nach der Geburt seines Sohnes Johannes die Stimme wiedererlangt, bricht er zuerst in Dank für Gottes Besuch aus: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen“ (Lk 1,68).
Maria erhält den Besuch des Engels, für den die ganze Geschichte des Volkes Israel eine einzige große Einladung und Vorbereitung war. Das Wort Gottes wird in ihr Fleisch, körperlich ganz nahe. Der Friede wird in ihr Fleisch. Und sofort setzt dieses Wort sie in Bewegung. Sie eilt zu ihrer Cousine Elisabeth. Dieses Ereignis wird „Visitatio“ genannt, „Besuch“.
Darum sind wir hier in Berlin zusammen: Das Wort des Friedens hat uns besucht und berührt. Es will in uns und durch uns Fleisch werden. Wenn Gottes Wort den Frieden des Ganzen wahrt, dann dürfen wir an unserem kleinen Ort in Frieden sein. Der Prophet Micha bringt es in das schöne Bild: „Jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des Herrn der Heere hat gesprochen“ (Micha 4,4). In Nazareth – für alle. In unserem Herzen, an unserem Ort – für alle.
Das kostet Wagemut, audacity, wie es im Titel dieses Friedenstreffens heißt. Es kann das Leben kosten, wie es für Jesus am Kreuz der Fall war. Nehmen wir uns Zacharias, der anfangs Gottes Wort nicht traut, zum Vorbild. Beten wir mit ihm und der Kirche: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, und unsere Schritte – und unsere Worte – zu lenken auf den Weg des Friedens“ (Lk 1,78-79).